Dieser Artikel wurde von dem Gesundheitsexperten Georg Siebers zuletzt am 16. Juni 2021 überprüft und aktualisiert.
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In der Regel unterliegen der gesamte Bewegungsapparat eines Kindes und damit auch die Füße während des Wachstums einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess. Dabei erreichen die kindlichen Füße im Allgemeinen in einem Alter von etwa 14 Jahren ihre endgültige Form und damit auch ihre vollständige Funktionalität. Störungen in Bezug auf die Füße bzw. den Bewegungsapparat eines Kindes können bereits im Mutterleib auftreten, wobei differente Ursachen zugrunde liegen können. Die Bandbreite möglicher Störungen ist groß, wobei sie teils gravierende Ausmaße annehmen können. Bleiben die Störungen unbehandelt, ist es möglich, dass sich infolge erhebliche Beschwerden entwickeln. Vice versa heißt dies nicht, dass auch jede Fußfehlstellung im Kindesalter behandlungsbedürftig ist.
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Ob und wenn ja, inwiefern ein fehlgestellter Fuß tatsächlich behandlungsbedürftig ist, ist für die Eltern des betroffenen Kindes meist nur sehr schwer bzw. überhaupt nicht einschätzbar. Diese Aufgabe kommt vielmehr dem behandelnden Arzt – sinnvoller Weise einem Orthopäden oder Pädiater – zu. Dieser ist aufgrund einer adäquaten Diagnose einerseits in der Lage, rechtzeitig die passende Therapie einzuleiten, um die Fußfunktion auf diese Weise dauerhaft zu sicher, und kann andererseits, insofern dies sinnvoll erscheint, eine überflüssige Behandlung gesunder Füße vermeiden. Eine häufige, im Kindesalter vorkommende Form der Fußdeformität ist der Hallux valgus. Im Folgenden wird der Hallux valgus im Kindesalter, der auch als juveniler Hallux valgus bezeichnet wird, deshalb in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken.
Der juvenile Hallux valgus
Medizinisch korrekt wird der Begriff „Hallux valgus“ als die Lateralabweichung der großen Zehe definiert, wobei es sich um eine Medialabweichung Defordes metatarsale I bzw. eine Lateralverbiegung des Grundglieds der großen Zehe, nämlich eine Hallux valgus interphalangeus, handelt.
Wissen: Als juvenil wird Hallux valgus dann bezeichnet, wenn Personen betroffen sind, die jünger als 20 Jahre sind. Der Grund hierfür ist, dass das Knochenwachstum ebenso wie die Knorpelausformung und das Weichteilgewebe bis zu diesem Alter noch plastischen Veränderungen unterliegt.
Grundsätzlich weist der juvenile Hallux valgus bestimmte Charakteristika auf, wobei die Tatsache, dass die knöchernen Wachstumsfugen bei dieser Fehlstellung beim Kind noch geöffnet sind, von enormer Bedeutung ist. So kommt diesem Charakteristikum beispielsweise bei der Planung einer adäquaten Therapie eine hohe Relevanz zu, d.h., diese Tatsache muss zwingend berücksichtigt werden.
Vorkommen: Im Rahmen einer epidemiologischen Studie an der 6.000 Schulkinder teilnahmen, zeigte sich in 60 Fällen dein bilateraler und in 36 Fällen ein unilateraler Hallux valgus. Entsprechend ergibt sich eine Inzidenz von 1,6 Prozent, wobei Mädchen fünf Mal so häufig betroffen waren wie Jungen.
Die meisten juvenilen Hallux valgus entwickeln sich im der Altersspanne von 16 bis 20 Jahren, d. h., sie finden im Rahmen des letzten Wachstumsschubs statt, wobei die physiologische Gewichtszunahme sowie die Kompression von außen relevante Faktoren darstellen.
Anzumerken ist, dass Betroffene Mädchen und Jungen dieser Altersgruppe etwaigen Veränderungen des eigenen Körpers besondere Aufmerksamkeit schenken. Problematisch gestaltet sich in dieser Altersgruppe leider oftmals eine konservative Therapie in Form von Einlagen, Schienen oder sogar angepasstem Schuhwerk, denn die Mädchen und Jungen schämen sich gegenüber gleichaltrigen Jungen und Mädchen, die keine Deformitäten aufweisen. Mit anderen Worten: Die Betroffenen sind in dieser Altersgruppe nicht dazu bereit, die oben genannten Hilfsmittel anzuwenden. In der Regel wird in der besagten Altersgruppe aus diesem Grund bei vorangeschrittener Fehlstellung ein operativer Eingriff notwendig. Welche operativen Techniken hierfür zur Verfügung stehen, wird weiter unten kurz thematisiert. Die Ursachen des juvenilen Hallux valgus sind multifaktoriell, wobei in Bezug auf Hallux valgus im Kindesalter die Genetik bzw. die erbliche Vorbelastung häufig eine tragende Rolle spielt.
Ursachen des juvenilen Hallux valgus
In Bezug auf den Hallux valgus bei Kindern ist die Ursachenforschung keinesfalls abgeschlossen. Entsprechend werden verschiedene ätiologische Faktoren diskutiert. Zu diesen zählt zum Beispiel ein konstitutioneller Metatarsus varus. Dabei handelt es sich um eine Varusfehlstellung, wobei der Winkel zwischen dem ersten und zweiten Metatarsale, der größer als 14 grad ist zu einer zunehmenden Valgusdeviation der großen Zehe führt. Weitere mögliche allerdings bis dato in der Forschung diskutierte Ursachen sind eine Hypermonbilität im Metatarsale I sowie ein Pes adductus im Säuglingsalter. Dabei gilt der kleinkindliche Sichelfuß als ein den juvenilen Hallux valgus begünstigender Faktor. Diese Annahme konnte bis heute jedoch wissenschaftlich nicht eindeutig belegt werden.
Noch bis vor einigen Jahren wurde angenommen, dass weitere Faktoren für das Entstehen eines juvenilen Hallux valgus ursächlich sein könnten, allerdings gelten die folgenden Faktoren heute als irrelevant:
- Spreizfuß
- flexibler Plattfuß
- Metararsale I Köpfchen
Grundsätzlich gestaltet sich die Ätiologie des juvenilen Hallux valgus als sehr komplex. Neben intrinsischen Faktoren wie der Genetik, der Länge des ersten Metatarsale, Pes planus etc. existieren auch extrinsische Faktoren wie zum Beispiel falsches Schuhwerk, die wissenschaftlich als Ursachen anerkannt werden. Grundsätzlich wird ein signifikant früheres Auftreten der Fehlstellung bei Kindern und Jugendlichen beobachtet, wenn eine positive Familienanamnese vorliegt. Unklar ist dagegen bis heute, welche funktionellen und anatomischen Veränderungen durch den Erbgang genau ausgelöst werden.
Die Diagnose des Hallux valgus bei Kindern
Soll ein Hallux valgus bei Kindern diagnostiziert werden, gestaltet sich dies aufgrund der in der Regel deutlich sichtbaren Fehlstellung der großen Zehe als unproblematisch. Hinzu kommt, dass sich auf der Seite des sogenannten Metatarsalköpfchens I in der Regel eine Wölbung und eine Rötung befinden. Beide sind häufig schmerzhaft – dies natürlich vor allem dann, wenn das Kind zu enge Schuhe trägt. Hinzu kommt, dass bei Vorliegen eines juvenilen Hallux valgus das Kind oder der Jugendliche meist nur eine eingeschränkte Beweglichkeit des Großzehengrundgelenkes aufweist. Oftmals ist die Großzehe etwas proniert. Ist die Fehlstellung sehr stark ausgeprägt, ist es zudem möglich, dass die große Zehe unter die zweite Zehe rutscht, wobei die zweite Zehe auch superduziert sein kann. Hierdurch entstehen häufig weitere Druckstellen und Rötungen an den Zehen der Kinder und Jugendlichen.
Ein Metatarsus varus I kann auch dann entstehen, wenn keine Valgusstellung der großen Zehe vorliegt. Im Allgemeinen kommt es bei dieser Art der Fehlstellung jedoch nicht zu größeren Beschwerden, so dass eine Therapie aus funktionellen Gründen nicht notwendig ist.
Bei Kindern und Jugendlichen, die unter juvenilem Hallux valgus leiden zählen die bei erwachsenen Patienten in Folge eines Spreizfußes entstandenen Hammerzehen dagegen nicht zum klinischen Bild. Auch in Bezug auf den juvenilen Hallux valgus kann anhand eines Röntgenbildes evaluiert werden, welchen Grad die Fehlstellung aufweist.
Die Therapie von Hallux valgus bei Kindern und Jugendlichen
Wie bereits angemerkt, leiden Kinder und Jugendliche relativ selten unter Hallux valgus. Sollten die Eltern oder aber die Kinder und Jugendlichen selbst bemerken, dass sie schiefe Großzehen aufweisen, wissen sie häufig nicht, was sie tun sollen.
Fakt ist, Kinder kommen nicht mit Hallux vulgus auf die Welt. Fakt ist allerdings auch, dass sich in manchen Familien die Diagnose Hallux valgus häuft. Hierfür ist die genetische Veranlagung zweifelsohne mitverantwortlich. Zudem wird davon ausgegangen, dass weitere Faktoren das Entstehen der Fehlstellung begünstigen, dennoch besteht nach wie vor Forschungsbedarf.
Aufgrund der Tatsache, dass sich Kinder, bei denen Hallux valgus diagnostiziert wird, noch im Wachstumsprozess befinden, ist eine konservative Therapie häufig ausreichend. Wichtig ist, dass die Eltern die Entwicklung des Hallux valgus kontinuierlich beobachten, denn der Fuß kann sich während des Knochenwachstums stark – und zwar sowohl im positiven als auch im negativen Sinne – verändern. Besteht der Verdacht auf Hallux valgus sollten Sie mit Ihrem Kind regelmäßig einen Orthopäden aufsuchen. Auf diese Weise können Sie für den Fall der Fälle sicherstellen, dass umgehend eine (konservative) Therapie eingeleitet werden kann.
Die richtigen Schuhe
Achten Sie als Eltern stets darauf, dass die Ihr Kind passende Schuhe trägt. Diesbezüglich ist es von besonderer Bedeutung, dass das Schuhwerk nicht zu klein bzw. eng geworden ist. Im Idealfall sollten Sie als Eltern zwei bis drei Mal im Jahr überprüfen, ob die Schuhe Ihrem Kind noch genügen „Spielraum“ bieten. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass zwischen den Füßen bzw. Zehen und den Schuhen mindestens ein Freiraum von 12 bis 17 Millimetern bestehen sollten. Nur wenn dies gewährleistet ist, ist zugleich sichergestellt, dass es beim Laufen nicht zum Entstehen von Druckstellen kommt. Zudem sollten Sie als Eltern beim Schuhkauf darauf achten, dass die Schuhe aus weichen Materialien gefertigt sind, so dass sich die Schuhe an die Füße Ihres Kindes und nicht umgekehrt anpassen. Von besonderer Bedeutung ist es zudem, dass Sie Ihrem Kind regelmäßig ermöglichen barfuß zu laufen.
Die Erklärung hierfür ist simpel: Ist keine Polsterung bzw. Federung des Kinderfußes durch das jeweilige Schuhwerk mehr gegeben, werden die Fußmuskeln dazu gezwungen, zu arbeiten. Im optimalen Fall kann Ihr Kind regelmäßig barfuß im Sand laufen. Dieser Untergrund eignet sich zum Training der Fuß- und Zehenmuskeln besonders gut, denn es kommt zu einer gleichmäßigen Belastung der Muskeln und damit zu einer gleichmäßigen Aktivierung. (Link: https://sciencev1.orf.at/news/88746.html)
Ausreichend Sport treiben
Wichtig ist es darüber hinaus, dass Ihr Kind sich ausreichend bewegt bzw. Sport treibt. Laut neuester Studien leiden bereits Kinder unter einer zu geringen Belastung der Füße bedingt durch zu wenig körperliche Aktivität. Achten Sie darauf, dass Ihr Kind regelmäßig Sport treibt. Ob Sie selbst mit Ihrem Kind körperlich aktiv sind, es dazu animieren mit Freunden zu spielen oder Ihr Kind in einem Sportverein anmelden, ist irrelevant. Wichtig ist, dass es sich mehrmals in der Woche – im besten Fall natürlich täglich – ausreichend bewegt.
Konservative Therapie von Hallux valgus bei Kindern und Jugendlichen
Verschiedene Untersuchungen haben ergeben, dass in Bezug auf juvenilen Hallux valgus Einlagen und (Nacht-)Schienen durchaus Erfolge bringen können. Ob und welches Hilfsmittel im individuellen Fall einen Nutzen aufweist, kann allerdings pauschal nicht beantwortet werden. Dies ist vor allem vom Ausmaß bzw. Grad der Fehlstellung sowie dem Alter des betroffenen Kindes bzw. Jugendlichen abhängig.
Achtung: Die Verwendung von Schuheinlagen ist im Kindesalter umstritten, da die Fehlstellung durch Einlagen, die nicht optimal passen, noch verstärkt werden kann. Das Verhindern eines Hallux valgus mit Einlagen ist im Kindes- und Jugendalter zudem nur selten möglich. Konsultieren Sie unbedingt einen Facharzt, bevor Sie bei Ihren Kind Hilfsmittel – und zwar ganz gleich, ob Einlagen, eine Schiene etc. – anwenden.
Operative Therapie
Bei juvenilem Hallux valgus ist im Allgemeinen keine operative Therapie notwendig. Anders gestaltet sich dies allerdings dann, wenn großer Leidensdruck und/ oder ein ausgeprägter klinischer Befund vorliegen. In derartigen Fällen stellt eine Operation eine Option dar. Grundsätzlich stehen verschieden Operationstechniken zur Wahl, welche im jeweiligen Fall angewendet wird, hängt von der Ausprägung der juvenilen Fehlstellung ab.
In Bezug auf die differenten Operationstechniken kann zudem angemerkt werden, dass sich die Erfolgsraten stark unterscheiden – dies allerdings nicht nur von Technik zu Technik, sondern auch innerhalb von Operationsserien, in welchen sich derselben Technik bedient wird. Angemerkt werden kann diesbezüglich, dass zwischen knöchernen Eingriffen, Weichteileingriffen sowie Kombinationen beider differenziert wird.
Fazit: Juveniler Hallux valgus
Welche Therapie von Hallux valgus im Kinder- und Jugendalter letztlich zum Einsatz kommt, hängt von differenten Faktoren vorrangig natürlich dem Patienten selbst sowie dem Schweregrad der Fehlstellung ab. Im Rahmen der Kinderorthopädie wird grundsätzlich der Einzelfall betrachtet, wobei der behandelnde Arzt gemeinsam mit den Eltern entscheidet, welche Vorgehensweise den größten Erfolg verspricht.